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Was stimmt nicht, mit unserer Medienlandschaft?

 
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davX
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Anmeldungsdatum: 08.06.2004
Beiträge: 8494
Wohnort: Schweiz

BeitragVerfasst am: 07.03.2015 19:25    Titel: Was stimmt nicht, mit unserer Medienlandschaft? Antworten mit Zitat

Das Thema liegt schon länger in der Luft. Wir in der Schweiz haben die Gratiszeitungen, die von der Qualität her berüchtigt sind, aber was soll man erwarten, wenn es gratis ist?
Man sollte da eigentlich erwarten, dass die Qualität bei den kostenpflichtigen Zeitungen anders sein sollte, die leidet aber seit Jahren auch. Es ist nicht so greifbar, aber der Wandel ist auch hier vorhanden. Konkrete Hinweise fehlten mir bisher, bis ich kürzlich wieder mal Bildblog las (sehr empfehlenswert übrigens).

Fangen wir vor der Haustür an, bei den Schweizer Medien:
Der Zürcher Tagesanzeiger oder kurz auch Tagi genannt, ist die zweitgrösste Tageszeitung der Schweiz, gleich nach der NZZ (Neue Zürcher Zeitung), letztere kennt man auch über die Landesgrenzen hinaus.

#1 Qualitativer Kahlschlag im Medienhaus Tamedia
Zur Zeit gibt es einen beachtlichen Personalwechsel im Medienhaus Tamedia, das Verhalgshaus, welche den Tagi herausgibt. Bruno Schletti, ein langjähriger Wirtschaftsredaktor der Zeitung nimmt dabei Stellung, wieso er dem Medienhaus seien Rücken zukehrt:
http://www.edito.ch/de/2015/03/02/keine-motivation-mehr-fuer-den-tagi/

In der Einleitung zum Interview wird die Personalfluktuation wie folgt erwähnt:
Zitat:

Es sind Abgänge von Redaktorinnen und Redaktoren beim Tages-Anzeiger, bei welchen informell oder etwas lauter auch Kritik oder zumindest Frust über die Arbeitssituation beim Zürcher Blatt mitschwingt. Und die Liste von prominenten Abgängen in den letzten Monaten ist erstaunlich lang, bekannt sind etwa die Namen von: Florian Keller, René Lenzin, Maurice Thiriet, Philipp Löpfe, David Nauer, Georg Gindely, Simone Meier, Luciano Ferrari, Seraina Kobler, Simon Schmid, Romeo Regenass, Bruno Schletti. Die individuellen Beweggründe mögen unterschiedlich sein, aber bei den meisten konnte man zumindest eine gewisse Resignation oder Enttäuschung über die eigene Arbeitssituation feststellen.


Was man den Zeitungen meist nicht ansieht, das ist die Lage, wie es hinter der Fassade aussieht. In der Wirtschaftsredaktion des Tagi ist die Situation offenbar prekär: 4 Vollzeitstellen wurden gestrichen, die Stelle des abgetretenen Redakteurs wurde (noch) nicht neu besetzt und zwei Kollegen seien zudem einer krank und einer verletzt. Bei den Artikeln lese man viele unbekannte Autoren, vieles wird offenbar von der Süddeutschen Zeitung übernommen. Diese Ausdünnung beim Personal färbt offenbar auch auf die Arbeitsabläufe ab. Während früher bei der Morgensitzung nach relevanten Themen gefragt wurde, wird heute das Naheliegende ausgewählt, Beiträge, die sich mit wenig Aufwand in nützlicher Frist umsetzen lassen. Es geht letztlich nicht um Qualität, sondern wichtig sei, dass am Ende des Tages das Blatt voll sei. Auch die Teamarbeit habe darunter gelitten, es gebe kaum noch Teamdenken und inhaltliche Diskussionen, auch die fachliche Begleitung von Themen durch die Redaktion und das gegenseitige Korrekturlesen seien weggefallen, letztlich gehe die journalistische Qualität vor die Hunde.
Diese Auswirkungen merken offensichtlich letztlich auch die Leser, es habe mehrere Rückmeldungen von Lesern gegeben, die sich überlegen, die Zeitung abzubestellen.

Ein weiteres Problem dieser starken Sparmassnahmen ist die zunehmende Abhängigkeit der Zeitung von ihren Quellen. Früher waren Auslandrecherchen möglich, ein Journalist konnte in der Redaktion für einige Wochen entbehrt werden, das gehe heute nicht mehr, es fehle Zeit und Geld dafür. Wenn dann beispielsweise Beiträge von Nichtregierungsorganisationen in der Zeitung übernommen werden, dann macht sich die Zeitung abhängig und kann freie Berichtserstattung nicht mehr gewähren.

Die Zukunft des Blattes sieht Schletti alles andere als rosig. Zwar gäbe es noch einige ältere Journalisten, die zu besseren Zeiten ihr Handwerk gelernt hätten und gute Arbeit leisteten. Doch das Umfeld sei schlecht, um dieses Wissen an die junge Generation weiterzugeben, das finde nicht statt. Mehr noch: "Das Blatt wird qualitativ und quantitativ laufend ausgedünnt. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die anspruchsvolle Leserschaft das auf die Länge bieten lässt. Sie wird abspringen."

Sicherlich sollte man all diese Worte nicht überbewerten, aber die Grundrichtung scheint zu stimmen. Auch als unregelmässiger Leser des Tagi muss ich sagen, man merkt den Qualitätsabbau. Besonders beim Wirtschaftsteil konnte man den Qualitätsabbau und der Rückgang des Umfangs gut beobachten. Der Aus- und Inlandteil hat auch abgenommen, scheint aber weniger stark davon betroffen zu sein. Auch noch recht solide steht der Lokalteil (Region Zürich), der für mich allerdings erst in den letzten Jahren interessanter wurde, da ich nun im Grossraum Zürich bzw. am äussersten Zipfel der Stadt wohne.

#2 Auch bei der NZZ gibt es Warnschüsse
Ich will hier nur zwei Vorkommnisse aus den jüngsten Monaten erwähnen:

1. Das Management hat kürzlich durchgesetzt, dass die profitable hauseigene Druckerei geschlossen wird. Neu soll bei der Konkurrenz Tamedia gedruckt werden. Wirtschaftlich gesehen, klingt das alles sehr unsinnig, es könnte aber um taktische Massnahmen gehen, dass möglicherweise versucht wird das Medienhaus im grösseren Stile umzubauen. Auf der anderen Seite baut die NZZ-Führung ihr Auslandengagement aus und will offenbar in Österreich die Marke NZZ aufbauen und investiert dazu ordentlich Geld. Man habe festgestellt, dass Qualitätsjournalismus in Österreich eine Marktlücke sei. Fraglich, ob die Idee aufgehen kann, auch wenn sie zugegeben interessant tönt.

2. Im Rahmen eines politisch motivierten Coup versuchte der Berlusconi der Schweiz, Christoph Blocher eine feindliche Übernahme der NZZ, welche glücklicherweise knapp vereitelt werden konnte. Blocher hatte schon in der Vergangenheit mehrere bedeutende Zeitungen übernommen durch verdeckte Übernahmen, meist mittels Strohmann, zuletzt war es die Basler Zeitung (BaZ), bei welcher zuerst über Monate geraten wurde, wer hinter der Übernahme stecken könnte, da auch versucht wurde, das so gut wie möglich zu vertuschen. Da der neue Chefredakteur der Zeitung ein enger Freund Blochers ist, gab es Indizien genug, auch dass nach der Übernahme inhaltlich ein neuer Kurs gefahren wurde, ganz auf Linie der Volkspopulisten, deren geistiger Ziehvater Blocher ist.

Bemerkenswert ist allerdings, dass im Gegensatz zur finanziell soliden Tamedia die angeschlagene NZZ-Gruppe nicht ebenfalls sich krank spart, sondern im Gegenteil jetzt erst recht in die Offensive geht und ihre Strukturen ausbaut und verbessert.


#3 Zerfallszeichen auch bei der SZ
Jakob Hein, der Kollege von Reptilia und Terraria Chefredakteur Heiko Werning, dokumentiert in ihrem Gemeinschaftsblog "Reptilienfonds" schon seit Langem den Niedergang der politischen Karriktaturen in der Süddeutschen Zeitung (SZ) und er ist mittlerweile bei der 50. Ausgabe angekommen:
http://blogs.taz.de/reptilienfonds/tag/schlechte_karikaturen/

Man mag es jetzt vielleicht für polemisch halten, wenn man ausgehend von der Qualität der Karrikaturen sich fragt, wie es um den Rest des Medienhauses steht. Offenbar nicht, denn die Frage scheint berechtigt:
https://heisersstimme.wordpress.com/2015/02/16/sz-leaks-schleichwerbung-fur-steuerhinterziehung/
https://heisersstimme.wordpress.com/

Sebastian Heiser, der jüngst in die Schlagzeilen geriet, da er bei TAZ Mitarbeiter ausspioniert haben soll, zog eine ähnliche Masche schon vor Jahren bei der Süddeutschen durch, damals berechtigt. Er war zuständig für Wirtschaftsartikel in Ratgeberform, zu Investment und ähnlichen Themen. Damals stellte sich recht bald heraus, dass für grosse Banken Schleichwerbung für Steuerhinterziehung gemacht wurde und auch sonst wurden die Interessen der grossen Anzeigekunden höher gewichtet als das Bedürfnis der Leserschaft auf ehrliche Information, anders gesagt es wurde Kritik an unseriösen Produkten von Anzeigekunden etwas beschönigt, damit man die Anzeigenkunden nicht verärgert.

Später bei der TAZ griff Heiser das Thema nochmals auf und wollte wissen, wie anfällig die Branche für Schleichwerbung ist und spielte den Lockvogel, eine Werbeagentur, die für zahlungskräftige Anzeigekunden Schleichwerbung bei verschiedenen Zeitschriften und Magazinen parken will. Dabei lotete er auch die Möglichkeiten aus, wie starke Einflussnahme denn möglich sei. Der folgende Beitrag gibt vom Thema eine gute Zusammenfassung:
http://blog.emmerich-consulting.net/2011/04/03/druckkostenzuschuesse-die-kaeuflichkeit-der-holzmedien/
http://blogs.taz.de/rechercheblog/2011/04/01/die-schleichwerbe-recherche/
Das ernüchternde Fazit, nur zwei Titel liessen sich überhaupt nicht kaufen, die Handelszeitung und der Spiegel. Selbst die Bild-Zeitung liess eine Hintertür offen, die Wochenausgabe wollte zwar von Schleichwerbung nichts wissen, dafür zeigte sich die Bild am Sonntag, welche für solche Unterfangen offen, der Leser sei mündig und sehe was Werbbung sei, auch ohne es anzuschreiben.

Weitere Kandidaten
Axel Springer Verlag: Bild, Die Welt
Zur Bild muss ich wohl nicht viel sagen. "Bild lügt" und www.bildblog.de sind da eigentlich Stichworte genug. Mit der Welt gibt es eine etwas seriösere Wochenzeitung... nunja.

Spiegel
Galt mal einst als Inbegriff für journalistische Qualität. Heute dominiert zwar Spiegel mit seiner Marke Spiegel Online, doch ihr eilt der Ruf voraus mehr Wert auf Quantität denn Qualität zu legen. Wohl machen sich auch hier die Umwälzungen in der Presselandschaft bemerkbar.

die tageszeitung taz
Viel dazu sagen kann ich nicht. Vom Onlineangebot her scheinen sie gut ausgerüstet zu sein, auch ist ihr Angebot gesund diversifiziert und geht so über jenes der Konkurrenz hinaus, zumbeispiel mit ihren Blogs. Wenn man den Ausführungen von Heiser (SZ Leaks) Glaube schenken darf, dann sind auch die Bedingungen in der Redaktion deutlich besser und freier. Politisch habe ich gehört, die Zeitung sei mal deutlich linker positioniert gewesen und sei recht in die Mitte gerückt. Mitte bedeutet oft auch tendenziell weniger kritische Berichtserstattung zu sozialen und gesellschaftlichen Anliegen und Brennpunkte. Beurteilen kann ich es jedoch nicht, ich lese nur gelegentlich und eher zufällig taz, wenn ich mal über einen interessanten Beitrag stolpere, z.B. von Heiko Werning oder über Insekten als Nahrung und Ähnliches...

FAZ
da weiss ich noch weniger darüber. Bei meinen kurzen Recherchen jetzt zu verschiedenen Schweiz-Relevanten Themen fiel mir jedoch die Berichterstattung positiv auf. Sie behandelte die Themen jeweils recht umfangreich und teils auch detaillierter als jetzt die CH Presse. Aber mir scheint das Online-Angebot weniger sichtbar zu sein, als zum Beispiel bei SPON oder taz.

...oder den Spiess einfach umkehren?
Wieso sollte man die Wahrheit schreiben, wenn die Phantasie die besseren Geschichten bieten kann? Das ist das Motto einiger satirischen Postillen, welche sich gar nicht erst die Mühe machen wahre Geschichten zu verdrehen oder nur die halbe Wahrheit zu schreiben, sondern von Anfang an alles einfch erfinden. So zum Beispiel der Postillon, der immer wieder witzige Geschichten auf Lager hat, das laut Eigenwerbung seit 1845, ehrlich, unabhängig und schnell (sein Archiv sagt allerdings seit 2008, aber letztlich soll es ja gut und seriös tönen).

Doch immer wieder verstecken sich zwischen den erfundenen Geschichten auch Verweise zu wahren Fakten und es passiert dann genau das Gegenteil als bei so manchem Boulevardblatt, statt dass man Informationen sucht und nichts findet ausser inhaltsleere Unterhaltung, sucht man oft nur Unterhaltung/Zerstreuung und findet oft dann doch mehr. Auch für manche traurig-ernste Themen kann offenbar nur die Ironie helfen, damit sinnvoll umzugehen. Beispiel Bild und ihre Grichen-Hetze:
http://www.der-postillon.com/2011/06/bild-zeitung-zieht-truppen-fur-invasion.html

Oder hier zum TTIP mit verstecktem Hinweis zu Kritik am Abkommen von Paul Krugmann:
http://www.der-postillon.com/2015/03/sigmar-gabriel-andert-seinen-vornamen.html

In seiner Geschichte kann man auch nachlesen, wie nazifreundlich er war, mit Fotos von alten Ausgaben zur Nazizeit und zum Ersten Weltkrieg (letztere Ausgabe ist m.E. besser gelungen):
http://www.der-postillon.com/p/der-postillon-1845-2010.html

Ein weiteres Thema wären die zahlreichen Online-Blogs und Magazine. Da gibt es ein paar Perlen darunter. Ich verfolge das zur Zeit aber nicht regelmässig. Es wäre aber sicher auch ein lohnenswertes Thema, das mal ein bisschen genauer beleuchtet werden könnte.
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