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Slow Food

 
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Anmeldungsdatum: 08.06.2004
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BeitragVerfasst am: 19.11.2017 12:49    Titel: Slow Food Antworten mit Zitat

Huhu,

gegründet wurde Slow Food 1986 vom Italiener Carlo Petrini. Er bewirkte die Gründung der jungen Universität in Pollenzo (Norditalien) im Jahre 2004, welche von Slow Food betrieben wird.

Slow Food:
https://de.wikipedia.org/wiki/Slow_Food

Gastronomische Universität von Pollenzo:
https://en.wikipedia.org/wiki/University_of_Gastronomic_Sciences
https://www.theatlantic.com/magazine/archive/2008/01/slow-food-high-gear/306567/?single_page=true
https://www.unisg.it/en/


Der Deutschlandfunk hat 2016 einen umfangreichen Beitrag zum Thema erstellt:
Gesichter Europas: Slow Food, slow Italy – wie eine Feinschmeckerbewegung die Gesellschaft umkrempelt. Eine Sendung von Kirstin Hausen.

Leider ist von der Sendung nur noch das Manuskript verfügbar ist (welches hier verlinkt ist):
http://www.deutschlandfunk.de/slow-food-slow-italy-wie-eine-feinschmeckerbewegung-die.922.de.html?dram%3Aarticle_id=391277

Das Manuskript zur Sendung:
http://www.deutschlandfunk.de/manuskript-italien-slow-food.media.c86809336bb3bfb4f3cee75ed5a4a20f.pdf

Wie das Manuskript zeigt, setzt sich die Sendung nochmals ausführlich mit der Bewegung auseinander, und da auch Beispiele herausgegriffen werden, gibt es doch einige interessante Aspekte:

Reportage 1 handelt wie eingangs schon erwähnt um die Universität in Pollenzo.

Reportage 2 porträtiert Pietro Parisi. Er war als Spitzenkoch in den besten Restaurants der Welt tätig, entschied sich dann aber, dieser Welt den Rücken zu kehren und suchte das Einfache und Traditionelle, was er mit der Eröffnung seines Lokals (Osteria) "Le cose buone di Nannina" in seiner Heimat, im Hinterland von Neapel, umsetzte. Parisi ist es auch wichtig, dass sein Lokal für die Gesellschaft was leistet. So ist es beispielsweise Treffpunkt, auch für die Schüler und er bietet für Schüler eine einfache und günstige Verpflegung an. Er hat zudem ein Buch geschrieben zum Thema Essen und plant in der Nähe seines Restaurants eine "Pescheria", ein Fischgeschäft alten Stils zu eröffnen.

In Reportage 3 geht es um den Hofladen von Contessa Ninni in Susegana, Provinz Treviso, ganz im Nordosten Italiens. Sie ist Nachfahrin eines uralten Adelgeschlechts und heisst eigentlich Gräfin Maria Trinidad von Collalto. Vom Adel ist aber wenig zu sehen, denn sie ist eine Gräfin in Gummistiefeln. Auf ihrem Hof hält sie Büffel, deren Milch zu Mozarella verarbeitet werden und deren Fleisch im eigenen Hofladen im Direktverkauf an die Kundschaft gelangen. Schon ihre Vorfahren waren Pioniere der Landwirtschaft und betrieben Ende des 19. Jahrhunderts einen riesigen Betrieb, der Landwirtschaft und Industrie (z.B. Ziegelbrennerei) verband. Auf den 1200ha Grundfläche arbeiteten Tausende von Leuten. Es gab sogar einen Hort für die Kinder der Arbeiter.
Heute wird noch die Hälfte der Fläche bewirtschaftet, die andere Hälfte besteht aus Wald und Wiesen, welche von Wegen und Saumpfaden durchzogen sind. Es gibt sogar eine kostenlose Wanderkarte, welche es im Hofladen gibt... für mich tönt das, als wäre das vielleicht in Zukunft mal ein lohnendes Reiseziel, um das mal zu sehen und die Landschaft selbst zu erleben und eben auch den Hof zu sehen, denn die Gräfin sorgt für Transparenz und möchte, dass man sieht, wie die Tiere gehalten werden.

Reportage 4 porträtiert Dalgit Singh. Der Inder kam nach Norditalien und arbeitete seit da in der Landwirtschaft. Er hat sich im Laufe der Jahre mit anderen Einwandern zusammengetan, um in einer gemeinsamen Organisation die Rechte der Einwanderer als Arbeiter in der Landwirtschaft zu verbessern.

Reportage 5 dreht sich um Andreas Kipar, welcher seit 30 Jahren als Landschaftsarchitekt in Mailand arbeitet. Der fünfzigjährige Deutsche ist in Gelsenkirchen geboren und arbeitet in Mailand an der Umsetzung seiner Vision der "Grünen Strahlen". Gemeint sind damit "Fuß- und Radwege, kleine grüne Oasen, die sich vom Domplatz ausgehend bis an den Stadtrand verbreiten, ein Netzwerk aus bestehenden Wegen, die geschickt miteinander verbunden werden". Dazu gehört auch die Piazza Gae Aulent. Diese entstand 2012 in einem neuen Stadtteil von Mailand, sie ist autofrei... zuvor war die Fläche eine Brache.

Kommentar:
Da ich mich in der letzten Zeit sehr viel mit Permakultur beschäftigt habe und diese aus meiner Sicht einer der besten nachhaltigen Ansätzen bietet, die ich bisher kennengelernt habe, ist das für mich so quasi die Referenz. Schon aus dem Manuskript vom Deutschlandfunk kommt es ein bisschen heraus und ebenso aus der Kritik bei Wikipedia. Der Slow Food Bewegung wird Elitäres vorgeworfen, und wie das Beispiel in Mailand zeigt mit den ganzen Grossinvestoren, so sind natürlich einige Themen aus der Slow Food Bewegung zumindest doch teilweise ausgeklammert. Es gibt aber auch andere Beispiele, wie der Spitzenkoch Parisi, der seine Überzeugungen lebt und nach meinem (beschränkten) Eindruck doch einen ganzheitlicheren Ansatz verfolgt. Dennoch denke ich, wirkt Slow Food auch in andere Bereiche hinein und ist als Puzzle-Teilchen sicher wertvoll im Grossen Ganzen. Es ersetzt beispielsweise die Permakultur nicht, ist aber sicher eine gute Ergänzung und hat durchaus auch Überschneidungen und mit der Bewegung teilweise auch eine ähnliche Ausrichtung. Wichtig ist aber auch bei Slow Food, dass mit zunehmendem Wachstum und mit drohender Popularisierung und der Stilisierung zu einem Modetrend nicht die Wurzeln und die ursprünglichen Überzeugungen verloren gehen, was aber letztlich für alle nachhaltigen Bewegungen gilt.
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BeitragVerfasst am: 19.11.2017 14:45    Titel: Re: Slow Food Antworten mit Zitat

In Deutschland ist die Slow Food Bewegung mehr oder weniger von den immer mehr werdenden Gourmets okkupiert worden - es geht hier also vornehmlich um Genuß, nicht mehr so sehr um die Herstellung.

Allerdings ist der höchste Genuß eben mit alten Nutzpflanzensorten, langsamer, artgerechter Aufzucht der Tiere ganzjährig auf der Weide und langsamer Reifung der Produkte verbunden. Und damit wird durch die Slow Food Bewegung wiederum nachhaltige Landwirtschaft gefördert, denn Gourmets geben erstaunlich viel Geld für ihr Essen aus.
Den höchsten Ertrag für diese hochpreisige Gourmetszene liefern übrigens wiederum Permakulturen - sie schaffen es, aus wenig Land sehr viele hochwertige Produkte herauszuholen - und damit schließt sich der Kreis wieder.

Es gibt jedoch noch ein paar Entwicklungen in Deutschland, welche gut für die Gourmet-Szene sind ... beispielsweise breiten sich Wollhandkrabben in Deutschland zunehmend von den Küsten aus und okkupieren immer mehr Land in Richtung Landesinnere. Wollhandkrabben sind eine absolute Spezialität mit momentan eher steigenden Preisen, aber es gibt nur wenige Fischer, welche nicht über Wollhandkrabben fluchen, sondern sie vielmehr fangen und vermarkten. Dabei bringt die Wollhandkrabbe in den Gourmetshops genauso viel das Kilo ein, wie ein Kilo Aal - nur daß der Aal halt zu den aussterbenden Tierarten gehört und zudem in den Aalfanggebieten inzwischen in den Netzen von den Wollhandkrabben angeknabbert wird und damit für die Vermarktung unbrauchbar wird.
Wollhandkrabben dagegen können in inzwischen riesigen Mengen geerntet werden ... eigentlich wäre es nur folgerichtig, wenn nun deutsche Aalfischer auf Wollhandkrabbe umsteigen, die Investitionen sind nicht sehr hoch und sie lohnen sich - aber eine solche Flexibilität ist offenbar unseren Fischern fremd, sie überlassen das Feld lieber Menschen mit Migrationshintergrund (was für eine schöne Wortkreation) und jammern lieber rum wegen der bösen, bösen Wollhandkrabben, die ihren Fang wegfuttern.

Es ist übrigens eh bezeichnend, auch für die deutsche Landwirtschaft ... man läßt sich lieber vom Staat besch*** und versucht, mit der Konkurrenz mitzuhalten und minderwertige Produkte für den globalen Markt zum Selbstkostenpreis zu produzieren, statt einfach mal ein klitzekleinesbischen über den Tellerrand zu blicken und zu gucken, wie man eine Landwirtschaft mit Erfolg betreiben kann ... Beispiele gibt es genug.
Umsteiger aus der Landschaftsgärtnerei, die sich nun auf die Permakultur stürzen, Quereinsteiger aus allen in Deutschland ausgeübten Berufen, die konsequente Weidetierhaltung betreiben (darunter ein zunehmender Anteil an Schlachtern) und die vielen, vielen kleinen Manufakturen oder Privatleute, die wieder verstärkt veredelte Dinge aus ihrem Garten anbieten und ihre Produkte oft über die Transition-Town-Bewegungen vermarkten. Landwirte findet man in diesem Bereich eher selten, die geben lieber auf, als daß sie ihre Wirtschaft umstellen und füllen tapfer die Reihen der Arbeitslosen und Aufstocker.
Dabei hätten sie aufgrund ihres Landes deutlich bessere Bedingungen, wie jemand aus der Stadt ohne Land ...

Momentan sind die Slow-Food- und Gourmetbewegungen die stärksten treibenden Kräfte zu einer nachhaltigen Landwirtschaft und Nahrungsmittelherstellung. Andere Bewegungen, wie beispielsweise die vegane Bewegungen, stehen der nachhaltigen Landwirtschaft teilweise sogar im Weg ... eine rein pflanzliche Produktion von Nahrungsmitteln kann niemals so viele Nahrungsmittel produzieren, daß jeder mit satt wird - Permakultur und gemischte Ganzjahresweidehaltung, urbanes Farming etc dagegen schon - und für diese Konzepte braucht es eben auch das Tier, um eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft überhaupt hinbekommen zu können, die ohne industriellen Dünger und ohne Monokultur auskommt.

Der stärkste Hemmschuh neben den staatlichen Auflagen, was viele Bewirtschaftungsmethoden der Permakultur und der Weidewirtschaft in Deutschland in der Produktion teuer werden läßt, ist jedoch das konsequente Festhalten der Landwirte an althergebrachten Anbaumethoden, die sich im letzten Jahrhundert definitiv nicht bewährt haben ...
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BeitragVerfasst am: 20.11.2017 09:38    Titel: Re: Slow Food Antworten mit Zitat

Zitat:

In Deutschland ist die Slow Food Bewegung mehr oder weniger von den immer mehr werdenden Gourmets okkupiert worden - es geht hier also vornehmlich um Genuß, nicht mehr so sehr um die Herstellung.

Ja das meinte ich mit dem Thema Modetrend. Im Manuskript wird ja auch erwähnt Zucchini im Winter auf dem Teller. Auch das ist aus meiner Sicht fehlendes Interesse an den ursprünglichen Ideen und eine gewisse Form von Modetrend. Wobei es kommt natürlich letztlich auch auf das Ausmass an. Wenn überwiegend saisonal mit lokalen Lebensmitteln gekocht wird, dann sieht es natürlich anders aus, als wenn es neben der Zucchini regelmässig auch noch andere nicht saisonale, regionale Gemüse/Früchte usw. gibt.

Zitat:

Den höchsten Ertrag für diese hochpreisige Gourmetszene liefern übrigens wiederum Permakulturen - sie schaffen es, aus wenig Land sehr viele hochwertige Produkte herauszuholen - und damit schließt sich der Kreis wieder.

Absolut. Gerade durch Polykultur, geschickte Nachbarschaften, mehrjährige Pflanzen und Schichtung lässt sich der Ertrag pro Flähe deutlich steigern und die Qualität der Pflanzen steigt erst noch, wenn sie sich wohl fühlen, weil sie in einer Umgebung wachsen, die eher dem ähnelt, was sie von der Evolution her als Lebensraum gewohnt sind. Der Apfel beispielsweise ist keine solitär lebende Pflanze, die am liebsten auf Rasen/Wiesen wächst. Im Gegenteil, sein Lebensraum ist eigentlich der Waldrand, die Hecke, und das Gras wiederum nimmt ihm auch Nährstoffe weg... es gäbe da bessere Möglichkeiten, und das ist auch der Grund, wieso man in der Permakultur da von Obstbaum Lebensgemeinschaften (OLG) spricht, und in Ringen unter und um den Baum verschiedene nützliche Pflanzen setzt, welche eben die OLG bilden.

Zitat:

Es gibt jedoch noch ein paar Entwicklungen in Deutschland, welche gut für die Gourmet-Szene sind ... beispielsweise breiten sich Wollhandkrabben in Deutschland zunehmend von den Küsten aus und okkupieren immer mehr Land in Richtung Landesinnere. Wollhandkrabben sind eine absolute Spezialität mit momentan eher steigenden Preisen, aber es gibt nur wenige Fischer, welche nicht über Wollhandkrabben fluchen, sondern sie vielmehr fangen und vermarkten. Dabei bringt die Wollhandkrabbe in den Gourmetshops genauso viel das Kilo ein, wie ein Kilo Aal - nur daß der Aal halt zu den aussterbenden Tierarten gehört und zudem in den Aalfanggebieten inzwischen in den Netzen von den Wollhandkrabben angeknabbert wird und damit für die Vermarktung unbrauchbar wird.
Wollhandkrabben dagegen können in inzwischen riesigen Mengen geerntet werden ... eigentlich wäre es nur folgerichtig, wenn nun deutsche Aalfischer auf Wollhandkrabbe umsteigen, die Investitionen sind nicht sehr hoch und sie lohnen sich - aber eine solche Flexibilität ist offenbar unseren Fischern fremd, sie überlassen das Feld lieber Menschen mit Migrationshintergrund (was für eine schöne Wortkreation) und jammern lieber rum wegen der bösen, bösen Wollhandkrabben, die ihren Fang wegfuttern.

Die Idee ist auf jeden Fall gut. Was ich mich aber frage, wie sich die längerfristige Entwicklung abzeichnet. Im Prinzip müsste die Nachfrage langfristig stabil sein, damit es auf die Dauer auch funktioniert. Sind diese Krabben in der Küche aber ein Modetrend, dann flacht alles nach einer Weile ab, und die Krabbenfischer bleiben auf ihren Tieren sitzen. Andererseits können seltene Delikatessen wie Aal, Kaviar usw. ja durchaus dauerhafte Nachfrage erzeugen, auch wenn sie teuer sind, oder gerade deswegen. Insofern denke ich, spielt der Preis auch eine wichtige Rolle, wenn viele Leute herausfinden, dass man mit den Krabben einfach gutes Geld machen kann, dann zerfallen die Preise, was wiederum auch nicht nachhaltig wäre. Also das Ganze tönt erstmal wirklich gut, ich denke aber längerfristig ist es keine einfache Sache, dass nicht durch mangelnde Vorsicht und/oder Geschick sich die Leute selbst den Markt kaputt machen.

Zitat:

Es ist übrigens eh bezeichnend, auch für die deutsche Landwirtschaft ... man läßt sich lieber vom Staat besch*** und versucht, mit der Konkurrenz mitzuhalten und minderwertige Produkte für den globalen Markt zum Selbstkostenpreis zu produzieren, statt einfach mal ein klitzekleinesbischen über den Tellerrand zu blicken und zu gucken, wie man eine Landwirtschaft mit Erfolg betreiben kann ... Beispiele gibt es genug.

Die Antwort ist eigentlich einfach. Wer innovativ ist, gerade in der Landwirtschaft, stösst erstens schnell an seine Grenzen und ihm werden Steine in den Weg gelegt. Sepp Holzer ist ja das beste Beispiel dafür. Auf der anderen Seite ist es halt auch mit Risiko verbunden die ausgetretenen Pfade zu verlassen, und es braucht eben auch Kreativität und Experimentierfreude... also einen bestimmten Typus Mensch, der sich nicht wie die Masse verhält, sondern eher wie ein Pionier. Dazu muss jemand dann auch einen Geschäftssinn haben und eben auch die Kreativität und Freude am Experimentieren, was längst nicht immer gegeben ist. Und wer viel Zeit ins Experimentieren und ausprobieren steckt, der verdient in dieser Zeit oft weniger, weil er etwas längerfristig investiert, in Misserfolge investiert, aus denen dann der eine oder andere zum Erfolg werden können. Und wenn man scheitert, kann man nicht der Regierung oder der Agroindustrie schuld geben, welche Subventionen kürzt, die Preise der Pestizide und Saatgutmittel erhöht oder deren Pestizide nicht mehr richtig wirken usw.

Was jetzt aber interessant ist, sobald die Leute gezwungen sind, umzudenken, wenn sie in der Krise sind und merken, uups, der Staat hilft mir nicht, dann ist plötzlich das Interesse gross, dass man mit Kreativität und Eigeninitiative etwas auf die Beine stellen kann. Das ist wohl auch der Grund, wieso die Transition Town Bewegung in England oder in den USA so erfolgreiche Projekte hat, während man sie in Deutschland eher mit der Lupe suchen muss und in der Schweiz sie kaum existent sind. Österreich wiederum hat eine ganz andere Struktur. Ich weiss zwar nicht, wie sehr dort die Transition Town Bewegung verbreitet ist, aber es gibt dort viel mehr soziale und ökologische Initiativen, z.B. Ökoregion Kaindorf, in Schrems das Waldviertler-"Imperium" rund um die Schuhmanufaktur "GEA", dann gibt es zahlreiche Bürgerinitiativen für eine freundliche Gemeinde, die sich für ihre Bürger einsetzt und in der sich die Leute wohl fühlen und wo andere Dinge ausprobiert werden.
Man merkt übrigens zaghafte Gehversuche auch in der Schweiz, was mir besonders aufgefallen ist, das ist das Urban Gardening. Mehrere Gemeinden in meiner Umgebung haben in den letzten Jahren Versuche gemacht mit öffentlichen Beeten, die sie in Kisten anlegten und in der Stadt aufstellten. Man macht sich offenbar da Gedanken und beobachtet, wie das Angebot ankommt, wobei mir das Ganze teilweise noch etwas oberflächlich vorkommt und in einer anonymen Stadt ist es auch schwieriger, wenn sich die Leute nicht kennen, denn da müsste auch etwas wachsen können.

Was mich interessieren würde, wie sieht es bei euch in der Region aus mit der Transition Town Bewegung, ist die im Süden (Hessen, nördliches BaWü) aktiver als im Norden? Ich hatte letzthin mich mit meiner Schwester darüber unterhalten und sie meinte damals trocken, ja das wären bei ihnen in Braunschweig ältere, wohlhabende Leute. Sie meinten es zwar gut, aber sie hätten sich das Ganze nicht verinnerlicht. Sie kaufen wohl Bio, aber kaufen dann doch lieber etwas Neues, statt dass sie auf die Idee kämen, dass man alte Dinge recyclen könnte und man daraus die Dinge machen könnte, die man gerade braucht. Da scheint auch eine gewisse Kluft der Vorstellungen zu sein. Die studentische Bewegung, junge Leute, die es gewohnt sind in WGs zu leben, die wenig Geld haben, daher aufs Geld schauen müssen, auch mal containern gehen, Dinge wiederverwenden usw. Auf der anderen Seite ältere Menschen, die gut von ihrer Arbeit nun leben können, eine gute Rente haben und wahrscheinlich ein Leben lang von einem gewissen Lebensstandard profitieren konnten oder sich einen solchen erarbeitet haben und die sich ein gutes und grünes Leben nun leisten. Das sind, so stelle ich es mir vor, diejenigen, die lieber sich ein Elektroauto kaufen, statt auf das Auto zu verzichten.
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BeitragVerfasst am: 20.11.2017 15:01    Titel: Re: Slow Food Antworten mit Zitat

In Deutschland sind alternative Bewegungen einschließlich der Transition Town Bewegungen am stärksten in den Studentenhochburgen ausgebaut: Berlin, Freiburg, Marburg, Gießen ...
Die meisten Agrarrebellen gibts im weiteren Einzugsgebiet Freiburg - das Klima dort scheint das anders denken zu fördern. Gerade die weitere Freiburger Umgebung hat sogar einen Landwirt hervorgebracht, der äußerst konsequent artgerechte Rinderhaltung vorantreibt: Ernst Hermann Maier. Er kämpft seit Jahrzehnten dafür, daß auf der Weide mit einer mobilen Schlachtbox geschlachtet werden darf, daß eine Kennzeichnung mit Transpondern genauso akzeptiert wird, wie die Kennzeichnung mit Ohrmarken, so daß Ohrmarken nicht mehr nötig sind und er gründete einen Verein, Uria e. V., der sich sehr für kurze Schlachtwege und artgerechte Tierhaltung einsetzt.

Eine weitere Hochburg der Transition Town Bewegung bildet sich seit einigen Jahren im Westerwald - hier sind fast alle alternativen Bewegungen erfaßt, es gibt also kaum Aktionen und Projekte im alternativen Bereich, die nicht von der Transition Town koordiniert werden. Westerwald scheint die einzige Gegend in Deutschland zu sein, wo die Transition Town Bewegung staatlich gefördert wird. Man hat erkannt, daß dies die einzige mögliche Zukunft für den Westerwald bietet. Selbst die Anbindung ans Internet wird mit deutlich weniger Anstrengung vorangetrieben, wie die Transition Town Bewegung.

Insgesamt lassen sich zwar viele Bewegungen in Deutschland finden, wenn man nach Ausschau hält - aber im Vergleich zu Frankreich, der Schweiz, Österreich etc steckt das alles immer noch arg in den Kinderschuhen. Die haupttreibende Kraft sind und bleiben Studenten.
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BeitragVerfasst am: 22.11.2017 08:13    Titel: Re: Slow Food Antworten mit Zitat

Ich musste jetzt wieder mal nachschauen, wo denn genau der Westerwald liegt. Dass er irgendwo bei dir vor der Haustür ist, das wusste ich, aber ich weiss nie so recht, wie gross diese Gebiete sind und von wo bis wo sie sich erstrecken... bis ich mich dann eben mal etwas genauer damit beschäftige. Ich fand dann noch eine gute Karte, auf der neben dem Westerwald sogar der Taunus, das Lahntal und das Rheintal eingezeichnet sind (okay die letzteren beiden sind nicht schwer zu finden): http://www.download.mx5-cruiser-nrw.de/download/touren/2012_Cruisers-Tour/westerwald_lahntal_taunus_rheintal.jpg bzw. http://www.mx5-cruiser-nrw.de/hp_touren/cruiser%27s_tour_2012.htm

Ernst Hermann Maier sagt mir jetzt nichts. Aber ich habe das Gefühl, dass es allgemein die eher ländlichen Gebiete sind, in denen sich was tut. Ich glaube die müssen auch innovativ werden, weil die Leute abwandern usw. Schwäbisch Hall ist ja auch so ein Beispiel. Oder letzthin hab ich was gelesen vom Bechtesgardener Land, weiss leider nicht mehr genau was, aber gut, man könnte da auch argumentieren, da färbt Österreich und die Nähe zu Salzburg ab. Vielleicht sollten wir mal irgendwo im Forum etwas sammeln, was es in Deutschland, vorallem im Süden so an Projekten, Leuten etc. gibt.
Zum Beispiel in Freising (Bayern) ist der Sepp Braun aktiv, wahrscheinlich einer der innovativsten Bauern Deutschlands und ich würde sagen auf seine Art ist er in gewisser Weise ein Sepp Holzer Deutschlands. Er macht zwar sehr andere Dinge, aber auch sehr spannend und auch in seinem Gebiet ein Pionier und Vordenker.

Ich hab jetzt kurz noch gegoogelt nach Maier und man findet vor allem sein Buch "Der Rinderflüsterer", Beiträge aus den Medien/Fernsehen, Youtubevideos und Uria ( http://uria.de/ ):
https://www.kosmos.de/buecher/ratgeber/heimtiere/nutztiere/3684/der-rinderfluesterer
http://www.werner-bonhoff-stiftung.de/meldung-von-ernst-hermann-maier-balingen.html
http://www.swp.de/ulm/nachrichten/suedwestumschau/ernst-hermann-maier_-der-rinderfluesterer_-15604822.html
http://www.badische-zeitung.de/suedwest-1/ernst-hermann-maier-br-der-rinderfluesterer--21754532.html
https://www.youtube.com/watch?v=c8sLFXtphxY (das Video ist übrigens gut... Very Happy )

Dann nochmals zum Westerwald, wo genau sind da die Zentren der Transition Town Bewegung und anderer Initiativen? Ist das bei euch Diez Hundstangen, Montabauer usw. oder eher Richtung Koblenz, Bonn oder Siegen? Und weisst du welche konkreten Projekte der TT-Bewegung es gibt? Gibt es auch Projekte, die von Gemeinden (mit)getragen werden?

Zitat:

Insgesamt lassen sich zwar viele Bewegungen in Deutschland finden, wenn man nach Ausschau hält - aber im Vergleich zu Frankreich, der Schweiz, Österreich etc steckt das alles immer noch arg in den Kinderschuhen. Die haupttreibende Kraft sind und bleiben Studenten.

Mein Eindruck ist, dass bezogen auf die Schweiz das Geld Fluch und Segen ist. Permakultur war lange kaum ein Thema. Die Scheibenalp hat das Thema letztlich ein gutes Stück vorwärts gebracht und zu Sichtbarkeit verholfen. Letztlich wird nun aber die Akademie in der Schweiz so quasi von Österreich aus aufgebaut von der Permakultur Akademie im Alpenraum, welche letztlich auch den dicken schwarzen (gemeint Mollisons PCD Manual) ins Deutsche übersetzt hat:
https://www.permakultur-akademie.com/
Dass bei uns dagegen viel getan wird für Naturschutz (Pro Natura), Gewässerschutz, Renaturierung usw., den Erhalt von alten Sorten und Rassen (Pro Specie Rara) usw. hat wohl auch mit dem Geld zu tun, wohl aber denke ich spielen auch die Alpen eine Rolle, welche einen widerspenstigen Charakter von Leuten bilden und die Schweiz war früh schon auch ein Ort der Freidenker, wir hatten Lenin bei uns, Conrad Gessner, Einstein usw. und wir hatten mit Calvin und Zwingli auch eine eigene Reformationsbewegung.
Auf der anderen Seite ist es auch etwas paradox, dass wir heute immer noch nur einen Nationalpark haben und seit über 100 Jahren nun erfolglos über einen zweiten diskutiert wurde. Okay vielleicht hängt es auch mit Pragmatismus zusammen, dass man den Mensch nicht aus der Natur aussperren möchte.

In Frankreich wiederum denke ich spielen gleich mehrere Faktoren eine Rolle:
Der Zentralstaat führt zu viel politischem Unsinn und einem Staat, der weit weit weg ist (in Paris) und Dinge kompliziert macht, dass die Leute auf ein Parallelsystem, ein Schattensystem lieber zurückgreifen, das ihnen die Probleme von Paris auszumerzen hilft. Das schafft letztlich auch wieder widerspenstige Charakter, und ich denke die extremen und rauhen Regionen im Alpenraum oder an der Küste im Norden (Bretagne usw.) sind auch wieder Brutstätten für zivilen Ungehorsam und Querdenker. Dann kommt die nicht so einfache wirtschaftliche Lage Frankreichs, dass auch viele Schweizer nach Frankreich ausgewandert sind, weil sie sich in der Schweiz wegen Regelungen und Einschränkungen nicht entfalten können usw. und ich denke es sind nicht nur Schweizer, die in Frankreich eine Heimat gefunden haben, um ihre Ideen umzusetzen. Ich denke zwar von den Gesetzen her ist Frankreich nicht besser als die Schweiz, aber Frankreich ist gross, Paris weit weg und das Schattensystem funktioniert gut für die Leute.
Auf der anderen Seite habe ich wiederum gehört, dass man in Italien offenbar von der Regierung her sehr streng überwacht und wenn da was gebaut wird, was wahrscheinlich per Satellit geschieht, dann sind schnell die Behörden da, und wehe man hat nicht die nötigen Bewilligungen zum Bauen. Selbst in abgelegensten Gebieten, wenn man da was sieht, was nach Bauarbeiten aussieht...
Das erinnert mich dann auch wieder an Paul Wheaton, der im ländlichen Montana eine Permakultur-Gemeinschaft aufgebaut hat (siehe Beitrag hier im Forum) und die haben da ja diese Ant Village Challenge. Da ist die Bedingung, dass die Häuser, die gebaut werden, nicht zu gross sein dürfen, dass sie ein Grasdach bzw. begrüntes Dach haben sollen, wohl eben dass sie von oben wenig auffallen und wohl um Ärger mit den Behörden zu vermeiden.
Auf Wikipedia las ich dann kürzlich, dass es da eine Razzia gegeben haben soll, allerdings total Wikipedia-Unlike ohne Quellenangaben. Entweder stimmt es und der Autor war ein Dilletant oder es war Vandalismus, der den Sichtern entglitten ist.
Und Österreich, da tut sich offenbar wirklich viel, so mein vager Eindruck von aussen. Aber ich stehe da selbst erst am Anfang und habe mir erst diesen Sommer vorgenommen, mal auch diesbezüglich einige Regionen Österreichs zu besuchen, insbesondere Kainsdorf würde mich interessieren.

Ach ja, nicht vergessen. In der Permakultur sagt man, Edges, Edges Edges. Sprich auf die Ränder (Edges) kommt es an, möglichst viel davon. Und Randgebiete sind letztlich eben gute Brutstätten für Innovation und neue Ideen und Bewegungen. Wink
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BeitragVerfasst am: 22.11.2017 09:38    Titel: Re: Slow Food Antworten mit Zitat

Der Westerwald hat kein Zentrum!
Der Westerwald lebt die Dezentralisierung ...

Die Koordination wird momentan über eine Webseite realisiert, treffen tut man sich in den einzelnen angeschlossenen Gruppen und Projekten, welche mehr oder weniger chaotisch über den Westerwald verteilt sind. Oft werden die Projekte selbst nur von einer einzigen Person am Leben gehalten.
Du kannst dich hier ja mal ein wenig durchwühlen:
http://westerwaldimwandel.de
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